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2003/2004 Oscar van den Boogaard
LUCIA SCHMILZT
Tacheles
& Theaterdiscounter Berlin
Darsteller:
Natascha Bub, Kai Schewe
Konzeption
Frank Riede 2003
Das Stück:
"Es
ist also vorbei?" So geht es meist los. Eine scheue Frage, ein mutiger Vorstoß.
Eine zaudernde Antwort. "Ich weiß es nicht." Was sich jahrelang
eingespielt hat, läuft als Mechanismus der Vorwürfe ab - getrieben von der
Energie der Enttäuschungen.
"Du
musst endlich handeln, dich entscheiden. Das dauert schon viel zu lange. Das
macht mich verrückt." -"Okay, es ist vorbei." - "Nein,
komm, lass es nicht vorbei sein, wir werden zusammen alt und sterben, gib
mir noch eine Chance." - "Es ist vorbei, vorläufig jedenfalls."
Der Anfang vom Ende zum ewig scheiternden Neuanfang.
Van
den Boogaard hat in seinem Text vieles von dem eingefangen, was das Leben
nicht mehr ganz junger, nach außen hin unabhängiger Menschen bestimmt:
exaltierte Jagden nach Designerkleidung, die Angst, allein auf eine Party
gehen zu müssen, ohne jemanden dort zu kennen. Die Frage, ob Menschen, die
das erste teure Möbelstück erworben haben, beginnen, einsam zu werden. Und
die Traurigkeit dessen, der berichtet, beim Metzger lieber zwei ganz kleine
Steaks statt eines großen zu kaufen - damit niemand bemerkt, daß er allein
ist.
Solche
feinen Beobachtungen sind eingebaut in dieses Spiel der beiden Verflossenen,
die sich anschreien, übereinander herfallen. Sie wimmert, er blickt betreten
zu Boden. Es entfaltet sich eine deprimierende und gleichzeitig ziemlich
komische Welt. Sie ist immer Spiel. Denn die beiden, so will es der Autor,
sind ein Schauspieler-Paar. Und darum ist das, was uns da geboten wird, ein
Spiel mit doppeltem Boden: Zwei Schauspieler spielen zwei Schauspieler, die
ein Paar geben, das sich nach langer Zeit erstmals wieder gegenübersteht und
seine Beziehung rekapituliert. Was kann man glauben? Was ist gespielt, was
echt? Die Wirklichkeit ist fragil.
Nichts
Besonderes also geschieht, ja mit Absicht fast eine Geschichte, die allen
Geschichten von gescheiterten Liebesbeziehungen zum Verwechseln ähnlich
sieht.
Der Autor:
Oscar
van den Boogaard, geb. 1964, wuchs in Surinam und Holland auf. Er studierte
Jura und Französische Literatur in Montpellier, Amsterdam und Brüssel.
Nachdem er drei Monate lang als Rechtsanwalt gearbeitet hatte, begann er mit
dem Schreiben und arbeitet seither als freier Schriftsteller. Van den
Boogaard wird von der Presse als wichtigster niederländischer Autor seiner
Generation gefeiert.
Nach
den Romanen „Denz“ (1990), „Fremdkörper“ (1991), „Brunos Optimismus“ (1993),
„Julias Herrlichkeit“ (1995) und „Liebestod“ war 2001 LUCIA SCHMILZT sein
erstes Theaterstück, das er für TG Stan und SkAgEn schrieb und in
Deutschland 2003 am Schauspiel Hannover erstaufgeführt wurde. Weitere Stücke:
„Die Nacht der Bonobos“, „Lava Lounge“.
Das Projekt der szen. Lesung:
Die
szenische Lesung von LUCIA SCHMILZT versucht, das Spiel im Spiel des Stücks
mit Mitteln der Lesung sichtbar zu machen, versteht sich aber erstmal als
Werkstatt, auf Text und Figuren zuzugehen. Wenn es scheint, als wäre alles
‚echt‘, die Textbücher in den Händen der Schauspieler fast unsichtbar
geworden sind, greift der ‚Regisseur‘ ein und zieht das ‚Gespielte‘ in
Zweifel, fordert mehr oder andere Beglaubigung, und nicht blosses Zitieren
von Haltungen und Texten.
John
Cassavetes‘ OPENING NIGHT: „Sie wollen
geliebt werden. Sie müssen geliebt werden. Die ganze Welt, jeder will geliebt
werden. Als ich siebzehn war, war mir nichts unmöglich. Es war so einfach.
Alle Gefühle lagen so nah an der Oberfläche. Es fällt mir schwerer und
schwerer, Kontakt zur Wirklichkeit zu halten.“
impressum © 2012 Frank Riede
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